HR/IT TALK Episode #38

Ohne Candidate Experience geht nix mehr!


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Die „Anzahl der offenen und gemeldeten Stellen“ lag im 2. Quartal 2022 gem. einer IAB-Stellenerhebung bei knapp 2 Millionen Vakanzen! Keine gute Nachricht für Arbeitgeber, die auf der Suche nach neuen Mitarbeitern sind. Umso wichtiger ist es daher, als einstellendes Unternehmen die richtigen Stellschrauben zu bewegen. Ein Beispiel hierfür kann eine optimale Karriereseite, als Knotenpunkt aller Recruiting-Maßnahmen sein. Ein weiteres Beispiel ist eine bestmöglich ausgestaltete Candidate Experience.
In dieser Folge von HR/IT Talk unterhält sich projekt0708 Geschäftsführer mit Jan Kirchner, Partner und Geschäftsführer der Wollmilchsau GmbH und Top-Experte in Sachen Personalmarketing, HR Analytics und Employer Branding.

 

Ergänzende Informationen zu dieser Episode:

 

Das Interview zum Nachlesen 

Ohne Candidate Experience geht nix mehr!
Jan Kirchner:

Moin Michael. Erstmal schön, dass ich hier sein darf. Wie bin ich ins Recruiting gekommen? Relativ klassischer Einstieg, ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind und zwar direkt von der Uni und habe gar nicht so richtig verstanden, wie das eigentlich geschehen ist. Ich war an der Uni mit meinem jetzigen Geschäftspartner Alexander schon gewerblich tätig und irgendwann kam eines Tages jemand um die Ecke und sagte „du, ich habe gerade für ein Callcenter einen neuen Dialer geschrieben und die sind jetzt softwaremäßig total toll aufgestellt, aber denen fehlen Callcenter-Agents.

Ihr seid doch da ganz gut, wollt ihr das nicht machen?“. Dieses „ihr seid doch da ganz gut“ bezog sich darauf, dass wir auf Parties und Großevents Leute für Theke und Bühne rekrutiert hatten, wie man das an der Uni halt so macht, so nach dem Motto „brauchst du Kohle, ich hätte da einen Job für zwei Tage“ und wir haben gesagt „passt, können wir machen“, Gewerbe war auch schon da und dann habe ich meine Diplomarbeit abgegeben und am Tag danach sind wir zu dem Kunden gefahren.

Dann habe ich 2 ½ Jahre Arbeits- und Personalvermittlung gemacht, im High Volume Bereich, sowohl auf Helferniveau als auch alles was Handwerker, Facharbeiter sind. In Teilen bis hin deutsche Facharbeiter nach Skandinavien vermittelt. Nach 2 ½ Jahren war es so „es macht schon irgendwie Spaß, aber immer dieselben Interviews zu führen“, die sind anders als im White Color Bereich ist es ja bei Handwerkern oft ein bisschen rudimentärer. Da geht’s halt echt darum „hast du einen Gesellenbrief? Hast du schon mal Vollwärmedämmschutz gemacht? Kannst du Schlitze stemmen, Bauelektrik, Schiffselektrik?“.

Das war auch finanziell nicht ganz so interessant und dann haben wir gesagt „wir verändern uns“ und sind dann in die Personalberatung gewechselt und haben dann Ingenieure, Techniker und IT-ler für den Mittelstand gemacht, später auch noch ein bisschen Ärzte. Das waren die Jahre 2009, 2010, wo ja dann auch das ganze Thema Social Media im Business angekommen ist und da haben wir uns halt extrem viel damit beschäftigt, wie Personalsuche im Internet funktioniert.

Dadurch, dass wir das ja nie richtig gelernt hatten, haben wir es halt einfach so gemacht, wie wir dachten, dass man es richtig macht und wir hatten beide schon vorher zum Internet eine sehr gute Verbindung und haben relativ schnell angefangen so kleine Helferchen zu bauen, die uns bei der Ausschreibung und dem Management von Stellen helfen. So sind wir auch zu unserem Firmennamen gekommen. Der war nämlich am Anfang einfach der Name unseres Blogs und das haben wir zu Marketingzwecken angefangen 2009. So bin ich in dem ganzen Thema gelandet und über die Jahre dann halt immer stärker in diese Online-Ecke.

 
Michael Scheffler:

Daher kenne ich euch auch ursprünglich. Ich habe euch ja ganz, ganz früh eigentlich wahrgenommen. Das wäre auch genau die Frage gewesen, wie es zu dem Namen kam, fand ich immer schon witzig, ist auch immer in Erinnerung geblieben. Jetzt kenne ich auch die Story dahinter, vielen Dank dafür und auch für deine Vorstellung. Dann würde ich mal vorschlagen, steigen wir mal ein in die Materie.

Woher ich euch und Wollmilchsau auch schon seit Jahren auf dem Schirm habe, sind eure spannenden Studien, die ihr im Umfeld von Recruiting und Personalmarketing publiziert. Auf eine ganz aktuelle Studie, nämlich die Arbeitsmarktstudie 2022, würde ich gerne mit dir ein bisschen näher drauf eingehen. Die hattest du mir im Vorfeld zur Verfügung gestellt, danke nochmal dafür. Inhaltich habt ihr da z. B. das Thema Demografie, Ausbildung, Studium, aber auch den Arbeitsmarkt und die gesamtwirtschaftliche Situation analysiert. Willst du uns dazu mal einen Überblick verschaffen? Was ist denn der Status Quo?

 

Analyse des deutschen Arbeitsmarktes bis 2030: Bevölkerungswachstum und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Jan Kirchner:

Sehr gerne. Vielleicht ganz kurz, warum machen wir eigentlich die ganzen Studien? Hauptberuflich beschäftigen wir uns ja damit, Bewerberreichweite auf Karriereseiten zu bringen und wenn man dann in die Analyse geht, warum man eben Reichweite auf bestimmte Jobs bekommt und auf andere nicht, dann ist es halt immer sehr hilfreich zu verstehen, ob das im Prinzip eine marktgetriebene Situation ist. Habe ich am Markt bestimmte Profile, die irgendwie Engpass oder Mangel haben? Dann erklärt das, warum man z. B. auf solche Stellen weniger Reichweite bekommt als auf andere.

Wenn man merkt „ich kriege keine Reichweite, ich müsste aber eigentlich welche kriegen, weil der Arbeitsmarkt das hergeben müsste“, dann merkt man halt „es sind vielleicht andere Probleme, z. B. aus der Candidate Experience heraus“. Das ist so ein bisschen der Grund, warum wir immer versuchen den Arbeitsmarkt möglichst gut in Zahlen zu greifen und das dann eben auch über die Studien anderen zur Verfügung zu stellen. Die machen wir ja jetzt schon seit fünf Jahren die Arbeitsmarktstudie und insofern habe ich auch so ein bisschen den Rückblick über die Zeit davor und vor allem auch vor Corona. Wo jetzt nicht viel Neues rauskam dieses Jahr, war natürlich der demografische Ausblick. Der ist ja im Prinzip schon sehr lange im Voraus bekannt. Nichts desto trotz kann man da halt erkennen, wohin die Reise geht.

Als allererstes gucken wir immer „was ist heute da?“. Wir haben uns als nächste Zielgröße das Jahr 2030 genommen und wenn man sich anguckt, wie sich die Gesamtbevölkerung in Deutschland entwickelt, dann schrumpft sie „nur um eine halbe Million Leute“, deutlich drastischer wird es dann aber, wenn man sich die Erwerbspersonenprognose anschaut. Da sieht es so aus, dass wenn wir gucken von 2019 an der Stelle, da hatten wir 41,7 Mio. Erwerbspersonen und 2030 haben wir eine Prognose zwischen 38-40,5 Mio. Diese 38-40,5 Mio. ist das optimistische oder wahlweise auch das pessimistische Szenario. Es hat viel damit zu tun „wie viele Leute gehen in Frührente oder fallen sonst irgendwie aus dem Markt?“. Wenn das pessimistische Szenario eintritt, würden wir in den nächsten acht Jahren fast vier Million Erwerbspersonen verlieren und das ist eine irre große Zahl. Selbst im optimistischen Szenario würden uns zum Status Quo heute immer noch über eine Million Leute fehlen. Das ist schon ganz schön viel.

Wenn wir weiter schauen, dann haben wir eigentlich gerade was so den Nachschub angeht, zwei Themen. Das ist einmal die Entwicklung der Studierenden. Generell ist es ja schon länger so, dass das Studium sich einer steigenden Beliebtheit erfreut und dass in Relation zu denjenigen, die vom Abi kommen, immer mehr Leute studieren. Nichts desto trotz erkennen wir auch da in absoluten Zahlen eine gewisse Stagnation. Es ist zum letzten Mal nochmal um 50.000 gestiegen. Der Anstieg wird auf jeden Fall weniger. Das liegt einfach auch daran, weil einfach weniger junge Menschen nachkommen, die studieren gehen können. Wo das noch viel deutlicher wird, ist der zweite Teil des Nachwuchses und zwar im Ausbildungsbereich. Da ist es so, das geht ja schon seit Jahren zurück und das hat inzwischen wirklich dramatische Ausmaße angenommen. Wir liegen also inzwischen noch bei 1.250.000 Auszubildenden. Da ist davon auszugehen, dass der Trend noch weiter sinkt. Das sieht man auf jeden Fall schon bei den neuabgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Da ist einfach keine Rettung in Sicht.

Das ist insofern ein ganz großes Problem, weil alles, was im Bereich Blue Color Facharbeit ist, da haben wir im Prinzip jetzt schon zu beobachten, dass oben mehr in Rente gehen als unten nachkommen, d. h. wir haben jetzt schon Lücken und das sehen wir auch in den Arbeitsmarktzahlen, wo wir vielleicht später noch drauf zu sprechen kommen. Wir haben dieses Jahr so häufig wie noch nie mit Kunden darüber gesprochen, dass es wirklich im Blue Color Bereich, in dem was früher Massenberufe waren, dass das da halt ganz gravierend hakt und inzwischen sieht man, dass das häufig genauso schwer zu rekrutieren ist wie Spezialistenpositionen im Corporate White Color Bereich. Was haben wir sonst noch? Wo wir das im Prinzip schon sehen können, die Arbeitslosenzahlen sinken weiter.

Wenn ich die Coronajahre kurz überspringe und bleibe bei 2019, was ja aus einer Recruiting-Perspektive ein absolutes Rekordjahr gewesen ist, dann hatten wir da noch 2,27 Mio. Arbeitslose. Jetzt sind es noch 2,29, für nächstes Jahr ist 2,15 prognostiziert. Da muss man schauen, wie sich das alles entwickelt. Da sind ja gerade noch die Flüchtlinge mit drin. Da ist sicherlich ein bisschen Varianz. Spannend ist eigentlich, dass wir sehen, dass die Arbeitslosenquote nur ganz leicht gestiegen ist und sich diese leichte Steigerung auf 5,2 Prozent durch die Flüchtlinge auch erklären lässt. Da sind wir schon wieder auf dem Niveau von 2019.

Der Markt hat alle Verwerfungen der letzten 2 ½ Jahre schon wieder rückgängig gemacht. Was wirklich faszinierend ist und in der Form auch noch nie da gewesen ist, die Zahl ausgeschriebener Stellen. Jetzt im zweiten Quartal hatten wir fast zwei Millionen ausgeschriebene Stellen. Das ist total irre. Wenn wir zurückgucken, 2019 war das Rekordjahr, da lagen wir im zweiten Quartal bei knapp 1,4 Mio. Wir haben gut eine halbe Million mehr Stellen als damals.

 

Wird sich der Fachkräftemangel künftig weiter verschärfen?
Michael Scheffler:

Das ist wirklich erschreckend aus Arbeitgeberperspektive. Ich habe gerade dieses Diagramm vor mir. Das würde bedeuten, dass in Zukunft vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, wie du gerade erläutert hast und das Ausscheiden der Baby-Boomer auf dem Arbeitsmarkt sich dieser allgegenwärtige Fachkräftemangel und den spürt man ja hinten und vorne, gefühlt auf jeden Fall, sich künftig noch weiter verschärfen wird. Stimmst du mir da zu?

 

Jan Kirchner:

Ja absolut. Den spürt man auch tatsächlich nicht nur gefühlt, sondern das finden wir in der Statistik konkret wieder. Das wird ja offiziell in einer Arbeitslosenstellenrelation gemessen, also in der Anzahl von Arbeitslosen pro ausgeschriebener Stelle. Die ist in Relation auch jetzt zu 2019 als Vorkrisenjahr von 1,7 jetzt nochmal auf 1,3 gesunken. Was das bedeutet, ist, wenn diese Zahl kleiner ist als 3, dann sprechen wir schon von einer Engpasslage. Wir befinden uns jetzt im Durchschnitt bei 1,3 und bei kleiner 1 haben wir einen Fachkräftemangel, d. h. wir befinden uns wirklich in der Fläche in einem fortgeschrittenen Fachkräfteengpass.

Natürlich unterscheidet sich das nochmal nach Berufsbildern, aber es ist wirklich auch so, was ich eben schon mit den Blue Color Verfügbarkeiten angesprochen habe, dass es bei den Massenberufen in der Fläche ankommt und das ist neu in der Form. Es wird auf jeden Fall auch weiter so gehen aufgrund der demografischen Trends und der Trends bei Ausbildung und Studium.

 

Was kann HR machen, um sich darauf einzustellen? Mit welchen Maßnahmen können die Unternehmen reagieren und welche Stellschrauben existieren?
Michael Scheffler:

D. h. eure Arbeitsmarktstudie hat summa summarum eigentlich nochmals bestätigt, was die RecruiterInnen da draußen schon seit Längeren in der täglichen Praxis erleben, nämlich dass der Arbeitsmarkt sich von einem Arbeitgeber- hin zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt hat. Jetzt ist die Frage „was tun?“. Was kann HR machen, um sich darauf einzustellen? Welche Möglichkeiten siehst du da? Mit welchen Maßnahmen können die Unternehmen reagieren und welche Stellschrauben existieren da? Eine Erkenntnis ist, das ist nicht wirklich neu, die Karriereseite des Unternehmens. Das ist ein Thema, was ich weiter bis dir noch diskutieren wollen würde. Wie siehst du das? Welchen Stellenwert hat die Karriereseite eines Unternehmens im Recruitingmix?

 

Jan Kirchner:

Ich denke wo die große Einigkeit herrscht, ist in der Betrachtung, dass die Karriereseite das Zentrum der Recruiting-Bemühungen ist. Recruiting hat sich in den meisten Bereichen voll ins Digitale verlagert. Es gibt noch ein paar Ecken, wo man sagt „ich habe noch Bewerberkontakt am Point of Sale“, im Handel geben Leute noch Mappen ab oder in der Logistik taucht mal einer am Lager auf, aber der ganze Rest ist wirklich online.

Online heißt Karriereseite und dadurch, dass der Bewerbungsprozess flächendeckend digitalisiert worden ist, ist die Karriereseite rein aus der Prozessperspektive das Eingangstor für alle. Da müssen alle durch. Auf der anderen Seite ist das natürlich, Stichwort Arbeitnehmermarkt, der eine Ort, wo Arbeitgeber die Chance haben mit dem Pfund, was sie haben, zu wuchern. Das sollte möglichst auf einer Art und Weise geschehen, dass es dann halt auch bei der Zielgruppe oder den Zielgruppen ankommt.

Insofern gehört für mich die Karriereseite zu den absoluten Basics und da muss der Anspruch auch vielleicht nicht exzellent, ist ein bisschen abgelutscht, aber die Basics müssen einfach absolut in Ordnung sein. Das muss von der Usability in Ordnung sein. Das muss von der Lesbarkeit in Ordnung sein. Da kann sich niemand mehr leisten sich allzu weit vom State of the Art zu entfernen ohne dass er hinterher dadurch bestraft wird, dass Bewerbungen auch ausbleiben.

 

Wie sieht eine optimale Karriereseite aus?
Michael Scheffler:

Absolut, das sehe ich genauso. Die Karriereseite ist einfach der Dreh- und Angelpunkt der Recruiting-Aktivitäten, quasi das Herzstück einer Recruitingstrategie und ihr habt in einem Whitepaper dazu auch geschrieben „die Bühne des Unternehmens“, das fand ich sehr treffend, „die im Zweifel das Zünglein an der Waage ist, ob sich ein Bewerber, eine Bewerberin für das Unternehmen entscheidet oder eben auch nicht“. Das ist ja auch eine Kerbe, in die wir schlagen als SAP-Partner.

Wir als Projekt 0708 haben für das Standardsystem aus dem Hause SAP SuccessFactors Recruiting Zusatzprodukte entwickelt, die genau hier ansetzen und optimieren. Insofern kennen wir uns da aus. Deine Erfahrung an der Stelle, ich glaube das ist hilfreich für alle ZuhörerInnen, kannst du uns da so ein paar good practices dazu geben? Wie sieht eine optimale Karriereseite deiner Meinung nach aus?

 

Jan Kirchner:

Sehr gerne. Ich habe ja gerade gesagt, was mir wichtig ist, sind saubere Basics. Ich lege weniger Wert darauf die neuesten Trends da unbedingt zu sehen, sondern darauf, dass halt die Basisfunktionalitäten erstmal sauber sind. Wenn wir uns das anschauen, muss eine Karriereseite eine klare Struktur haben, maximal drei Ebenen, ich würde sagen eher weniger, weil der Trend dahingeht, dass wir immer mehr Single Page Applikationen haben, welche sich mobil einfach navigieren lassen und nicht mehr so komplexe Menüstrukturen haben. Inhaltlich sollte sie natürlich eine authentische Unternehmensvorstellung beinhalten und die sollte vielleicht auch über die übliche Selbstfeierei hinausgehen.

Man sollte sich auch bemühen, einen ehrlichen Einblick in die Kultur zu geben, sodass man sich wirklich ein vernünftiges Bild von der Firma machen kann, einen persönlicheren Einblick. Was auch immer hilfreich ist, ist im Kontext Stellenausschreibungen, Jobbörse, einen Einblick in den Bewerbungsprozess darzustellen und da vielleicht auch schon ein bisschen Erwartungsmanagement zu betreiben. Es ist ja doch so, dass nach Bewerbungseingang die Rückmeldezeiten sehr unterschiedlich sind. Nicht selten, aber doch noch 14 Tage und länger, gerade bei größeren Unternehmen. Das ist natürlich in einem Arbeitgebermarkt schwer und wenn man das nicht schneller hinbekommt, sollte man den Leuten zumindest erklären, warum das so ist, Stichwort Mitbestimmung.

Wenn man in die Vorstellung des Unternehmens geht, auch wirklich auf Abteilungsbasis vorstellen. Vielleicht auch Leute aus den verschiedenen Karrierestufen. Im Prinzip vom Azubi bis oben ins Management und ansonsten natürlich die Themen, die Bewerber persönlich wirklich interessieren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, „wie sieht das mit Karrierepfaden oder Entwicklungsmöglichkeiten aus?“ und ggfls. die Klassiker Compensation and Benefits. Vielleicht nicht unbedingt „was kann ich verdienen?“, aber „was gibt es abseits des Gehalts?“. Die Diskussion, ob Gehälter in Stellenanzeigen und damit auch in Karriereseiten sollen, die sollten wir vielleicht ein anderes Mal führen. Das ist ja nicht immer nur einfach und eindeutig. Das sind so die Basics, die ich an der Stelle sehe.

 

Wie sieht „die“ perfekte Stellenanzeige aus?
Michael Scheffler:

Das waren ja schon mal sehr hilfreiche Tipps. Danke dafür. Den Punkt mit dem Bewerbungs- und Onboardingprozess möchte ich auch nochmal unterstreichen. Ich sage da immer „speed is king“. Ich glaube genau das ist eine Stellschraube, die die Unternehmen da draußen vielleicht noch optimieren können hier und da, weil oftmals meiner Erfahrung nach von unseren Kunden sind da noch Optimierungsbedarfe, was einfach Antwort- und Reaktionszeiten anbelangt und auch die Zusage am Ende des Tages zu einem Job. Neben der Karriereseite, Jan, ist meiner Erfahrung nach auch eine optimal ausgestaltete Stellenanzeige ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor, wenn man neue Talente für sich gewinnen möchte als Unternehmen. Kannst du uns hierzu ein paar Empfehlungen geben? Wie sieht denn „die“ perfekte Stellenanzeige aus?

 

Jan Kirchner:

Also eine gute Stellenanzeige muss erstmal einen klar verständlichen Jobtitel haben. Im Prinzip muss ich da ja erstmal draufkommen. Wenn ich über die Karriereseite komme, geht man immer davon aus „die Bewerber kommen schon und gucken sich das an“. In der Realität ist es ja so, dass der Großteil der Bewerber von extern auf die Stellenanzeige kommt und das wird nur dann passieren, wenn sie einen Titel trägt, den Menschen auch über eine Suchmaschine suchen. Ob das jetzt eine Jobsuchmaschine oder eine Websuchmaschine ist, sei an der Stelle dahingestellt. Ich muss mich ein bisschen freimachen von irgendwelchen internen Wordings, die vielleicht aus einem Diagramm oder so etwas kommen und ich brauche marktfähige Jobtitel. Klassisch sagt man immer „dem Volk aufs Maul schauen“, also wie suchen Leute wirklich? Dann benutzt man das.

Ansonsten habe ich das Problem, dass ich zusätzlich zu den ohnehin schon vorhandenen Engpasslagen, die wir vielfach haben, auch noch ein Missmatch kriege, weil die einen unter einem Titel ausschreiben und andere unter anderen Begriffen suchen. So toll ist die ganze Semantik noch nicht, dass sie das Problem lösen könnte. Was auch noch sehr wichtig ist, dass Jobtitel nicht zu kurz und nicht zu lang sind. Wir empfehlen immer zwischen 40 und 60 Zeichen. Generell sollte man auf Füllwörter verzichten und sich nach Möglichkeit auf relevante Keywords fokussieren. Ansonsten sollte man generell in den Anzeigen selber auf Fließtext weitestgehend verzichten.

Gerade bei den Punkten „Aufgaben und Profil“, das sollte in Bullets gelistet werden, sodass das schnell und gut lesbar ist, vor allem eben auch, wenn wir an die Stellensuchenden über das Handy denken. Die machen inzwischen im Schnitt gut 60 Prozent aus, bei vielen auch schon mehr. Deshalb sollte es dann auch so sein, die sollten nicht länger als drei bis fünf Bulletpoints sein. Diese Listen, die teilweise aus dem Fachbereich kommen mit „muss 15 Kriterien erfüllen“, das liest am Ende sowieso niemand. Da gibt es Eye Tracking Studien, die zeigen, dass nach drei Bullets die Aufmerksamkeit runtergeht, nach fünf ist sie de facto weg. Am Ende bringt es halt eh nichts. Die Benefits sollten ganz klar hervorgehoben werden. Klappern gehört zum Handwerk. Man muss da schon dafür sorgen, dass deutlich wird, dass sich das lohnt sich zu bewerben.

Dann kann man an der Stelle gerne nochmal Infos zum Bewerbungsablauf reinbringen. Was von Bewerbern immer gewünscht wird, ist auch eine Möglichkeit jemanden persönlich zu kontaktieren. Da wäre es schon auch schön, wenn es dann ein Recruiter mit Namen ist, gerne auch mit Bild und mit persönlichen Kontaktdaten oder von mir aus auch einem persönlichen Formularlink und nicht „bewerbung@konzern.de“, wo man dann keine Ahnung hat, wo das landet. Das hemmt dann auch die Kontaktaufnahme. Das sind eigentlich so die Basics. Wenn es hinterher noch visuell ansprechend gestaltet ist, das wäre natürlich sehr schön. Wenn man da jetzt nur so mittelweit kommt, ist das auch okay, wenn man inhaltlich punktet und ein sauberes Layout hat und ganz am Ende vor allem auch einen guten Call-to-Action.

Die Leute sollten den „jetzt bewerben“-Button auch wirklich finden und wenn man da an mobil denkt, muss man überlegen, ob man da immer die noch ganz runter scrollen lassen will oder vielleicht oben schon mal einen einbaut, sodass es nicht passiert, dass es irgendwem entgeht.

 

Sind Videostellenanzeigen eine lohnende Option für Arbeitgeber und Bewerber?

Michael Scheffler:

Was hältst du von Videostellenanzeigen? Stellenanzeigen, die um Bewegtbild angereichert werden oder vollkommen als Video dargestellt werden?

 

Jan Kirchner:

Ich persönlich gar nichts. Ich weiß, ich stehe da etwas konträr zu Teilen. Ich halte Videostellenanzeigen für denkbar ungeeignet. Das eine Thema ist, dass wir uns ja generell beim Webdesign um Barrierefreiheit bemühen und Videostellenanzeigen sind einfach nicht barrierefrei. Die sind halt für einen Teil der Leute überhaupt nicht konsumierbar. Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum die als ausschließliche Form überhaupt nicht geeignet sind. Ich habe in einer kleinen Diskussion gestern dazu den Punkt gelesen, wo jemand gesagt hat „wenn man sich überlegt, wann hat man zuletzt sich die Tarifbedingungen seines Handyproviders oder von der Versicherung in Form von Video reingezogen, um zu gucken, ob das irgendwie mit dem Tarif passt?“.

Am Anfang ist es so, dass es vielleicht ein bisschen abstrus erscheint, aber wenn man überlegt, wie wichtig ein Job ist, dann möchte man Dinge in Ruhe lesen. Man möchte sie auch irgendwie nachlesen. Wir gucken viel Video, aber ich glaube Stellenanzeigen sind ein Format, die sollten so im Schriftbereich bleiben. Was mich ja nicht davon abhält, Video für ergänzende Informationen wie irgendwelche Teameinblicke oder sowas mit reinzubringen. Ich finde auch Videos im Active Sourcing zur Ansprache von Kandidaten ganz interessant. Wenn man wirklich eine individuelle Botschaft aufnimmt. Aber jetzt wirklich für die Stellenanzeige sehe ich nicht, dass Video die Stellenanzeige in der klassischen schriftlichen Form ablösen wird. Wo ich im Endeffekt noch weniger von halte als von Videostellenanzeigen, sind Videobewerbungen.

Das war eine Zeit lang ein wahnsinniger Hype, aber das wird sich auch nicht durchsetzen, weil ich habe selbst über Versuchsreihen im Vertriebsbereich...auch die Vertriebsschweinchen haben keine Lust, sich auf Video nackig zu machen und das dann einzureichen. Wir bleiben bei schriftlich, d. h. wir haben eine schriftliche Stellenanzeige und auch eine schriftliche Bewerbung und alles andere ist im Prinzip Ergänzung und bunt und hübsch drum herum.

 

Vermeidbare Fehler: Was bei einer Bewerbung alles schiefgehen kann
Michael Scheffler:

Danke Jan. Da war nochmal sehr viel Input dabei. Sagen wir mal, wir haben bei der Karriereseite alles richtig gemacht, die ist leicht zugänglich, zielgruppenspezifisch, auch auffindbar auf der eigenen Unternehmenswebsite. Wir haben jede Menge Informationen, die Basics, platziert, uns als Arbeitgeber vorgestellt, die Kultur des Unternehmens dargestellt, natürlich auch persönliche Ansprechpartner mit Kontaktdaten platziert, Stellenausschreibungen, haben wir gerade gelernt, optimal aufbereitet. Jetzt möchte sich doch tatsächlich ein Kandidat bei uns bewerben. Kann da überhaupt noch was schiefgehen?

 

Jan Kirchner:

Tatsächlich kann da richtig viel noch schiefgehen. Der Hauptpunkt sind tatsächlich nochmal das Thema Basics und zwar haben wir in einer anderen Studie, die wir regelmäßig machen, in einer Online-Recruitingstudie gucken wir uns immer einmal im Jahr die Dax 160 an und verfolgen da einmal die komplette Candidate Experience. Während sich viele Aspekte in den letzten Jahren gut entwickelt haben, so die Mobiloptimierung von Karriereseiten, generell die Usability, das war alles sehr schön. Es gibt zwei Bereiche, wo großes Potential herrscht in der positiven Betrachtung. Man muss aber eigentlich sagen, dass man die negative wählen muss und sagen muss, wo noch riesige Probleme bestehen. Das zentrale Problem ist, dass nur 50 Prozent aller Bewerbungsformulare mobil optimiert sind bei den Dax 160.

Wenn wir noch tiefer in den Markt schauen, wird das noch schlimmer. Das bedeutet de facto, bei 60 Prozent Bewerbern, die mobil unterwegs sind, dass die an der Stelle so hart clashen, dass wenn das bei mir der Fall ist, vielleicht noch ergänzt um einen Login-Zwang, ich einfach locker jeden Zweiten verliere für den ich ja vorher über Personalmarketingmaßnahmen viel Geld ausgegeben habe. Das ist ein Punkt, der ist wirklich im Grunde katastrophal vor allem vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktentwicklung, die wir jetzt haben.

Wenn wir das kurz in Zahlen durchspielen und sagen „wir suchen jetzt in einem komplexeren Bereich bspw. Elektroniker im Blue Color oder auch irgendwelche Ingenieure für Robotik oder Software-Entwickler oder andere komplexe Spezialtätigkeiten“ und wir kommen eigentlich jetzt aus meiner Reichweitenperspektive und wir sagen, wir schaffen vielleicht drei oder vier potentielle Leute auf so eine Stelle zu bekommen und wenn von denen sich die Hälfte überhaupt nicht bewirbt, weil die Experience so schlecht ist und das über das Handy überhaupt nicht funktioniert.

Dann verhindert das an der Stelle aktiv die Besetzung von erfolgskritischen Stellen und reduziert halt bei Mengenberufen, wo ja auch nicht mehr so viele Bewerbungen wie früher kommen, halt auch die Zahl verfügbarer Kandidaten um die Hälfte. Ich würde sagen, das sind jetzt nicht unbedingt immer die schlechten, die dann abspringen. Das ist eigentlich so das größte Problem. Was damit sicherlich auch verbunden ist, die kommen jetzt gerade von der Karriereseite, da hat sich viel getan auch im Bereich Employer Branding und die Firmen verkaufen sich ganz toll und jetzt hat er gerade gelesen, sie suchen ihn als Partner in Crime für den Bau der nächsten großen Innovation und den ersten Eindruck von der Innovationsfähigkeit des Unternehmens, den er erhält, ist ein nicht mobiloptimiertes Bewerbungsformular im Jahr 2022. Da ist auch die Frage „wie glaubwürdig ist der Pitch von vorher?“. Ich denke, dass der eine oder andere da nochmal ins Nachdenken kommt.

 

Die perfekte Candidate Experience: Was Unternehmen noch tun können, um Bewerber:innen zu begeistern
Michael Scheffler:

Definitiv. Das Thema Bewerbungsformular kenne ich nur zu gut aus unseren Beratungsmandaten. Das ist eine Stelle, wo das SAP SuccessFactors Recruiting Modul zwar in der Zwischenzeit etwas im SAP Standard anbietet, aber wo wir auch mit unserer P78 Quick Apply ansetzen und dann eben auch eine Bewerbung ohne Login-Zwang ermöglichen, also Bewerbungshürden abbauen ganz bewusst.

Das bedeutet letztendlich, die Candidate Experience, das hast du ja schon sehr schön herausgearbeitet, ist im Jahr 2022 ein absolutes Muss. Da kommt man nicht mehr drum herum. Das Thema mobiloptimierte Karriereseite hattest du schon angesprochen. Das Bewerbungsformular, aber auch diesen Login-Zwang abzuschaffen, sind absolute Must-Haves. Ansonsten hat man da Bewerbungskiller. Ich hatte da vor einiger Zeit den Henner Knabenreich bei mir im Podcast. Der redet da immer von einer Bewerbervermeidungsstrategie und das wiederum finde ich sehr, das sollte man eben vermeiden, dass man Kandidaten verschreckt. Wie siehst du das? Was muss man noch tun, um die Candidate Experience optimal auszugestalten?

 

Jan Kirchner:

Also erstmal stimme ich Henner da voll zu. Sehr gut, wenn man keine Bewerbervermeidungsstrategie fahren würde und abgesehen von dem Thema der mobilfähigen Bewerbung sehe ich da noch einen weiteren Punkt und zwar die Länge von Bewerbungsformularen. Das betrifft auf der einen Seite die Anzahl an Formularfeldern bzw. teilweise die Anzahl an Seiten, wo Formularfelder drauf sind. Das gibt’s ja auch noch in einigen Systemen. Zum anderen aber sicherlich auch die Frage „braucht eine Bewerbung ein Anschreiben?“.

Das ist auch so ein Aspekt, der aus meiner Sicht noch viel zu oft gefordert wird und darin habe ich als Bewerber ja nicht nur die Herausforderung, dass ich irgendwie noch 20 Felder ausfüllen muss, sondern auf einmal soll ich noch irgendwie eine halbe Seite schreiben und dann muss da ja irgendwie etwas Schlaues drin stehen.

Deswegen glaube ich, dass die Kombination aus beidem dahingeht, dass wir auf der einen Seite in den Formularfeldern zusehen, dass wir möglichst schlank bleiben und da stelle ich gerne mal gleich eine Zahl in den Raum. Ich denke zehn Felder sollten das Maximum sein und ein Anschreiben halte ich persönlich für überflüssig, abseits von Berufen, wo Schreiben im Zentrum steht, Journalisten, Redakteure oder sowas ähnliches. Ansonsten reicht aus meiner Sicht ein Feld, wo man sagt „sage uns doch in einem Satz, warum du zu uns passt und dann fülle uns die Basics aus, Vorname, Nachname, E-Mail, Telefon“, je nachdem wie das funktioniert und dann gibt es einen Upload-Button für was auch immer die Leute hochladen wollen.

Da vielleicht noch den Hinweis, weil es leider noch nötig ist, der sollte nach Möglichkeit nicht auf 2 MB beschränkt sein, denn gerade wenn man sich jetzt überlegt, wie die ganzen hochauflösenden Scanner heute Arbeitszeugnisse und ähnliche Dokumente scannen, scheitern viele Bewerbungen an solchen Reglementierungen. Das wäre auch noch wichtig. Maximal zehn Felder, idealerweise kein Anschreiben und genug Upload space, sodass Bewerber nicht hinterher rätseln müssen, warum ihre Unterlagen nicht hochgeladen werden.

 

Michael Scheffler:

Ich gehöre auch nicht zum „Team Anschreiben“. Da stimme ich dir total zu. Insofern bedanke ich mich von meiner Seite für den ganzen spannenden Input. Ich habe wieder was dazu gelernt und hoffe unsere ZuhörerInnen konnten auch etwas mitnehmen. Jan, vielen Dank und ich hoffe wir hören, sehen uns bald wieder.

 

Jan Kirchner:

Ich danke dir. Ich würde den Zuhörerinnen und Zuhörern noch einen letzten Gedanken oder eine letzte Bitte mit auf den Weg geben und zwar, dass sie sich um die Candidate Experience besser verstehen zu können, alle noch ein bisschen mehr um Analytics bemühen, denn wenn man Web Analytics, ob jetzt Google Analytics oder irgendwas anderes nutzt, kann man wirklich auch verstehen „an welcher Stelle steigen Bewerber aus? Wo verliere ich sie?“. Das ist auch noch ein Thema, was aktuell noch zu wenig genutzt wird, auch wenn das sicherlich ein Thema für einen eigenen Podcast ist. Insofern danke ich dir für unser Thema heute und bis bald.

 

Michael Scheffler:

Bis bald, Jan, danke.

 

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